Selbstgewählt alleinerziehend
Wer mich privat kennenlernt, hört oft recht bald einen der zwei folgenden Sätze (oder manchmal auch beide😉):
Was das heißt?
"Ich bin selbstgewählt alleinerziehend." heißt: ich habe mich, schon vor der Zeugung meiner Tochter, dazu entschieden, als alleinerziehende Mama ein Kind zu bekommen.
"Meine Tochter ist ein Spenderkind." heißt: sie wurde mit Samen eines Mannes gezeugt, dem ich in meinem Leben nie begegnet bin und dessen Samen ich von einer professionellen Samenbank gekauft habe.
So weit, so gut - denke ich mir jedenfalls, da es für mich mittlerweile ein ganz normaler Teil meines Lebens geworden ist. Und dann merke ich immer wieder, dass das was für mich alltäglich ist für viele meiner Gesprächspartner*innen noch nicht im Alltag angekommen ist. Und deswegen habe ich mich entschieden, hier mal von ein paar Reaktionen auf meine Wahl der Familienform und den daraus entstehenden Gesprächen zu berichten.
Eine sehr häufige Reaktion auf meine oben genannten Sätze ist "Oh wow, ich wusste garnicht, dass das in Deutschland möglich ist."
Tatsächlich war mir bei meinen ersten Versuchen auch nicht klar, dass es in Deutschland möglich ist als alleinstehende Frau mit Spendersamen behandelt zu werden. Deswegen haben meine ersten drei Versuche auch in Dänemark stattgefunden, was im Coronajahr 2020 garnicht so einfach war. Aber dank der Tatsache, dass das Thema "weibliche Fortpflanzung" auch heute noch für viele Männer unangenehm ist, haben selbst offizielle Grenzübertritte bei formal geschlossenen Grenzen problemlos geklappt😁.
Nach 3 Versuchen und einem Sternenbaby habe ich dann erfahren, dass die Behandlung alleinstehender Frauen mit Spendersamen seit 2018 in Deutschland gesetzlich geregelt ist. Das Samenspenderregistergesetz regelt die Bedingungen für den Spender, die behandelte Frau, das entstehende Kind und den*die behandelnde*n Arzt*in, so dass für alle Seiten Rechtssicherheit besteht. Seitdem behandeln immer mehr Einrichtungen in Deutschland alleinstehende Frauen und Frauen in lesbischen Beziehungen.
Ich habe mich dann für eine Einrichtung in Süddeutschland entschieden und kann rückblickend nur sagen "Es war die richtige Entscheidung.". Meine Tochter ist perfekt so wie sie ist - und so wie sie ist wäre sie nirgendwo und nirgendwann anders entstanden.
Auch sehr beliebt ist die Frage "Und wie genau ist Deine Tochter entstanden?"
Da gibt es in Deutschland 3, in anderen Ländern noch mehr, ärztlich durchgeführte Möglichkeiten.
Die einfachste - die IUI - ist, den Mann durch eine*n Arzt*in und ein Spritze zu ersetzen. Hier wird der Spendersamen mit Spritze und Katheter direkt in die Gebärmutter verbracht, den Rest erledigt der weibliche Körper, wie bei der natürlichen Empfängnis, selbst.
Die anderen beiden Möglichkeiten - IVF und ICSI - beginnen jeweils mit der Entnahme der Eizellen (meist wird dafür mit Medikamenten die Reifung mehrerer Eizellen stimuliert). Bei der IVF werden die entnommenen Eizellen gemeinsam mit dem Spendersamen im Labor in eine Petrischale gegeben und dürfen sich dann dort, von außen unbeeinflusst, treffen. Später werden der Frau dann eine oder mehrere der befruchteten Eizellen direkt in die Gebärmutter eingesetzt. Bei der ICSI werden die entnommenen Eizellen ebenfalls in eine Petrischale gegeben und dann wird in jede Eizelle ein Spermium eingespritzt. Danach geht es ebenfalls mit dem Transfer einer oder mehrerer befruchteter Eizellen weiter.
Eine weitere Möglichkeit ist die Privatspende per Bechermethode oder Sex. Diese ist jedoch nicht vom Samenspenderregistergesetz abgedeckt, weshalb formal ein Vater existiert, der theoretisch seine Rechte und Pflichten als Vater einfordern kann.
Eine weitere Reaktion ist "Oh man, aber das ist doch bestimmt mega anstrengend."
Ja, das Leben als alleinerziehende Mama mit einem nicht mehr ganz jungen Kleinkind ist anstrengend. Ebenso anstrengend wie das Leben als alleinerziehender Papa mit nicht mehr ganz jungem Kleinkind. Und ebenso anstrengend wie das Leben als Mama und Papa, Mama und Mama oder Papa und Papa mit nicht mehr ganz jungem Kleinkind.
Der große Vorteil den ich und andere selbstgewählt alleinerziehende Mamas haben, ist, dass wir uns wirklich von Anfang an auf unsere Situation einstellen konnten. Wir haben uns darüber Gedanken gemacht, wie es ist, die nächsten Jahre keine (oder nur sehr wenige) Möglichkeiten zu haben, unser Wunschkind einfach mal 5 Minuten einem anderen Erwachsenen anzuvertrauen um alleine ins Bad gehen zu können. Wir haben uns über finanzielle Fragen informiert und zum Beispiel herausgefunden, dass wir - anders als die meisten anderen alleinerziehenden Elternteile - kein Recht auf Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss haben wenn unser Kind aus einer Samenbankspende entstanden ist (bei Privatspendern sieht die Situation anders aus). Und wir haben uns über rechtliche Fragen informiert und erfahren, dass es sowohl Vor-, als auch Nachteile haben kann, keinen zweiten Elternteil in der Geburtsurkunde stehen zu haben und mit niemandem das Sorgerecht zu teilen.
Was mir bisher noch fast garnicht begegnet ist, sind negative Reaktionen. Ich weiß von anderen selbstgewählt alleinerziehenden Mamas, dass sie mit Vorwürfen - unsere Familienform sei unverantwortlich dem Kind gegenüber, sie sei abartig und zu jeder Familie gehöre zwingend auch ein Vater - konfrontiert sind. Und ich ärgere mich jedes mal wenn ich wieder von einer solchen Situation höre.
Wer bitte hat das Recht, anderen Menschen ihre Entscheidung für (oder auch gegen) Kinder vorzuwerfen? - Niemand!
Wer hat das Recht, über Familienformen (sei es Mama, Papa, x Kind(er); Mama, Mama, x Kind(er); Papa, Papa, x Kind(er); Mama, x Kind(er); Papa, x Kind(er); 1, 2, 3, x non-binäre(s) Elternteil(e), x Kind(er)) zu urteilen? - Niemand!
Ich bin froh, den Weg eingeschlagen zu haben und dankbar, dass er mich zu meiner wundervollen Tochter und ihrem Sternengeschwisterchen geführt hat und würde unsere kleine Familie für nichts in der Welt wieder hergeben.
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